Theaterbesuch: #Heimatliebe

Wir haben uns vor einigen Wochem das Theaterstück #Heimatliebe im Theater unterm Dach angeschaut. Das TuD ist bei uns um die Ecke im Thälmannpark im Prenzlauer Berg, gleich neben der Wabe. Als wir ins Steinhaus hineingingen, fragten wir in der Galerie im Erdgeschoss, wo das Theater sei. Aber es ist genau dort, wo der Name es vermuten lässt: unterm Dach.

Dies war unser erster Besuch im TuD, wenn wir auch schon mehrmals Ausschnitte aus dem Programm auf Sommerfesten sahen. Vorher hätte man mich sagen hören, das TuD sei semiprofessionell, wenn auch sofort verbunden mit dem Hinweis darauf, daß ich keineswegs die moderne, negative Auslegung des Wortes meine. Sondern auf den Umstand anspiele, daß es ein Theater sei, gemacht von Menschen, die das aus Liebe zum Theater tun, also nicht unbedingt für Geld. Somit spielen sie also nicht professionell, für Geld, sondern semiprofessionell, an der Grenze zwischen Amateur und Profi, weil sie nicht anders können. All dies Rumgeschwurbel um dieses Wort semiprofessionell auch nur, um hervorzuheben, wie sehr ich mich damit geirrt habe.

Denn die schauspielerische Leistung von Laura Louisa Garde, der einzigen und somit Hauptdarstellerin des Stücks, war in emotionaler Bandbreite, Ausdrucksvielfalt und vor allem Ausdauer in jeder Hinsicht so, wie man es an einem großen Haus erwarten würde, also in keinster Weise weniger als genau die Qualität, die ich von Profis kenne.

Es geht um Klara, eine konservative, heimatverbundene Frau, die in sozialen Medien ihr Leben festhält, und ihr Coming-of-Age, ihre Radikalisierung zu einer rechtsextremen Nazi-Frontfrau, einer neuen rechten Influencerin. Wir sehen Klara auf den Etappen ihrer Veränderung, live auf der Bühne beim Drehen ihrer kurzen Videos, aber auch auf Monitoren, wo vorbereite Videos laufen, die Klara auf Youtube hochgeladen hat. Diese Videos und Posts zeigen sie beim Urlaub in Deutschland, oder in fast barock eingerichteten Wohnzimmern. Gibt es eigentlich wirklich Menschen, die in solchen Wohnzimmern leben, oder sind alle barock eingerichteten Wohnzimmer nur ungemütliche Teile von Hotels, die ansonsten keiner benutzt?

Was wir auch sehen und hören können, sind die Kommentare unter ihren Posts und Videos, die uns vorgelesen werden. Die meisten dieser Kommentare sind eindeutig vom rechten Spektrum, aber einige sind auch von links. Wir hören aber auch Telefonate Klaras mit ihrer zunehmend entsetzten Schwester oder rechten Freunden mit viel Einfluss in der Szene, die Klara immer weiter in den braunen Sumpf ziehen. Nur, daß sie in Wirklichkeit nicht wollen, daß Klara allzu politisch wird. Denn die Rolle der Frau bei den Rechten ist nicht die einer gleichgestellten Kämpferin:

Auch das Harmlose ist politisch. Wir Frauen auf histogram sind für das schöne Bild verantwortlich. Reichweite als patriotische Pflicht.

Das verwundert Klara, die doch ein Seminar für Rechten Feminismus besucht hat und nun richtig ans Eingemachte will: diskutieren, kritisieren, polemisieren. Im Seminar hat sie gelernt, daß linker Feminismus in Wahrheit nur unterdrücken will und daß richtiger, weil rechter Feminismus sich darum dreht, die vom Patriarchat zugewiesene Rolle für Mütter und Hausfrauen einzunehmen, die zehn blonden Bengel zu ernähren, die man für die deutsche Familie gebärt, daß alles Non-Binäre unsere Familien bedroht und Frauen sich gegen ausländische Vergewaltigerhorden zu wehren haben.

Wir sehen auch eingeblendet kurze Videos von Wahlkampfaussagen oder Bundestagsreden von Abgeordneten der AfD. Ganz prominent Alice Weidel mit ihrem Hinweis von 300.000 abzuschiebenden Asylbewerbern, die abgelehnt wurden, aber nicht abgeschoben werden - übrigens dieselben 300.000 Menschen, von denen auch Friedrich Merz gerade gerne spricht.

Und warum, so fragt sich Klara, sollen diese Menschen denn wirklich hier bleiben, obwohl sie abgelehnt wurden? Da kommt The Great Replacement ins Spiel, eine Theorie, daß all die im Internet surfenden, sich in Telegramkanälen Informationen beschaffenden, rechten und rechtschaffenen Bürger für die Mächtigen unbequem sind, weil sie so schlau, so stark, so widerspenstig seien, sie so schwer kontrollierbar und beherrschbar seien, daß die Mächtigen es müde sind - und sie nun lieber mit gefolgsamen, dummen, faulen, niemals sich zum Widerspruch aufraffenden Migranten ersetzen wollen. Wer sind die Mächtigen in diesem weltweiten Plot? Eine globale Elite, was nur ein rechtes Codewort für eine weltweite Verschwörung unter jüdischer Leitung ist. Genau da haben wir dann Anschluß an die junge Bundesrepublik, in der Beamte, die NS-belastet waren, schnell lernten, daß sie nur noch anti-kommunistisch sein durften, nicht anti-jüdisch-bolschewistisch (s. meine Rezension von Die Rosenburg: 5. Symposium). Wir leben also immer noch in einer Welt, in der die Originalnarrative der Nazis rumgeistern.

Am Ende löst die Darstellerin das Stück auf und spricht uns Zuschauenden als Laura Louisa Garde zu uns. Das Stück entstand nach langer, intensiver Recherche, u.a. in sozialen Medien auf den Accounts von Frauen aus der Szene der Neuen Rechten. Und obwohl ihr Verstand ihr immer sagen konnte, was nicht stimmt, fühlte sie sich trotzdem oft visuell angesprochen von der Optik, den Images der heimatverbundenen rechten Frauen in sozialen Medien.

Sie sei begeistert gewesen, dieses Thema als Theater zu inszenieren, sagt Garde, sei aber auf zwei Fragen gestoßen:

  • Ist es möglich, Leute im Theater zu erreichen, die gerade dabei sind, in rechten sozialen Medien in Verschwörungstheorien abzugleiten?
  • Und für sie persönlich, die sich links sieht: War damals, in ihrer Jugend, allein das Umfeld maßgeblich, in welches Niveau man später abgleitet?

Zum ersten Punkt kann ich nur beitragen, indem ich über dieses Stück blogge. Leider denke ich, daß die Leute, die auf Kippe stehen, nicht ins Theater gehen, und wenn, dann nicht in solche Stücke. Aber versuchen können wir es ja:

#Heimatliebe dauert 90 Minuten, die Laura Louisa Garde allein auf der Bühne abspult. Das sind 90 Minuten ohne Langeweile, lehrreich, zum Nachdenken anregend und sehr unterhaltsam. Das ist ein wichtiges Thema, dass in diesem Stück behandelt wird, sehr aktuell und sehr politisch, wie wir auch gerade sehen in dem, was wegen der Hamas-Greueltaten in Israel in Deutschland passiert.

Das Stück #Heimatliebe wird nochmal aufgeführt am 9./10. Dezember 2023 im Theater unterm Dach. Geht hin und schaut es euch an: Laura hat es verdient, daß ihr kommt und ihr Beifall spendet, für ihren Marathon und dafür, daß sie uns zum Nachdenken bringt. Und das Theater unterm Dach und sein äußerst nettes Personal (insbesondere die Frau, die uns an der Bar empfing und uns verschiedene Vorgänge erklärte) auch, das hätte ich beinahe vergessen: da ist nix amateurmäßig oder nur semiprofessionell. Das ist richtiges Theater, Leute. Und die haben noch viel mehr im Programm!

Wichtig ist den Theatermachern dieses Stücks auch, daß wir die folgenden Adressen kennen und ggf. nutzen. Dazu lagen auf jedem Zuschauersitz Zettel, deren Inhalt ich hier wiedergebe:

Unterstützung für Betroffene rechter Gewalt und anderer vorurteilsmotivierter Angriffe: